Das Jetzt als Modell der Ewigkeit
„Zeit existiert nur, wenn sie gemessen werden kann, und der Maßstab, mit dem wir sie messen, ist der Raum. Wo findet sich der Raum, der es uns erlaubt, Zeit zu messen? Laut Augustinus lautet die Antwort: in unserem Gedächtnis, wo alle Dinge gespeichert sind. Das Gedächtnis, der Speicher der Zeit, ist die Präsenz des „nicht mehr“ (iam non), so wie die Erwartung die Präsenz des „noch nicht“ (nondum) ist. So messe ich also nicht das, was nicht mehr existiert, sondern etwas, das im Gedächtnis fixiert bleibt. Zeit existiert nur, wenn wir die Vergangenheit und die Zukunft in die Gegenwart der Erinnerung und der Erwartung bringen. Daher ist die einzige gültige Zeitform die Gegenwart, das Jetzt. Plotin schreibt: „Im Allgemeinen ist die Vergangenheit die Zeit, die jetzt endet, und die Zukunft die Zeit, die jetzt beginnt.“ Das Jetzt misst die Zeit rückwärts und vorwärts, denn streng genommen ist das Jetzt keine Zeit, sondern steht außerhalb der Zeit. Im Jetzt begegnen sich Vergangenheit und Zukunft. Für einen flüchtigen Moment sind sie gleichzeitig, sodass sie vom Gedächtnis gespeichert werden können, das sich an Vergangenes erinnert und auf Künftiges wartet. Für einen flüchtigen Moment (das vorübergehende Jetzt) scheint die Zeit stillzustehen, und dieses Jetzt wird für Augustinus zu dem Modell der Ewigkeit, für das er neuplatonische Metaphern verwendet—nunc stans oder nunc aeternitatis—auch wenn er sie ihres spezifisch mystischen Gehalts entleert.“Auf diese Weise entschlüsselt Hannah Arendt in ihrer berühmten Doktorarbeit mit dem Titel: Liebe bei Augustinus (übersetzt von Georgeta-Anca Ionescu, Humanitas, Bukarest, 2023) das Denken des Augustinus.

Hannah Arendt im Jahr 1963 / Quelle: Wikimedia Commons
Hannah Arendt wurde 1906 in eine säkulare jüdische Familie in Königsberg geboren.
Obwohl ihre Eltern nicht religiös waren, erlaubten sie der jungen Hannah, mit ihren mütterlichen Großeltern, die dem reformierten Judentum (liberales Judentum) angehörten, in die Synagoge zu gehen. Sie lernte hauptsächlich in der Schule über das Christentum und war von den Geschichten über Jesus beeindruckt. Später, als Jugendliche, wurde Arendt zu einer begeisterten Leserin von Søren Kierkegaard, was als erste Anzeichen für ihr Interesse an Theologie gewertet werden kann.
Ab 1924 studierte sie Philosophie an der Universität Marburg, der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Heidelberg. 1924 besuchte sie in Berlin die Vorlesungen von Romano Guardini, einem katholischen Theologen, der ihre Leidenschaft für Kierkegaard nur noch verstärkte. Anschließend studierte Arendt Philosophie und Theologie bei Martin Heidegger und Rudolf Bultmann, bis sie im Frühjahr 1926 Marburg verließ und nach Freiburg ging, um bei Edmund Husserl zu studieren. In Freiburg lernte sie Karl Jaspers kennen, der ihr Doktorvater wurde. Ihre Dissertation verteidigte sie im Herbst 1928; sie wurde 1929 in Berlin unter dem Titel Der Liebesbegriff bei Augustin: Versuch einer philosophischen Interpretation veröffentlicht. Viele Themen aus ihrer Dissertation flossen später in verschiedenen theoretischen Ausrichtungen in ihr Nachkriegswerk ein.
In Marburg lernte sie Martin Heidegger kennen, unter dessen Einfluss sie bis 1928 stand. 1933, als Heidegger der NSDAP beitrat und als Rektor in Freiburg mit der Umsetzung der nationalsozialistischen Bildungspolitik begann, musste Arendt, die jüdischer Herkunft war, nach Paris fliehen. 1940 heiratete sie Heinrich Blücher, einen Philosophieprofessor. 1941 wurde sie erneut zur Flüchtenden, als sie und ihr Mann in die Vereinigten Staaten emigrierten. Arendt lehrte an angesehenen akademischen Einrichtungen wie der New School for Social Research, wo sie eine führende Figur der politischen Philosophie wurde. Während dieser Zeit setzte sie ihre akademische Arbeit fort, indem sie Kurse zu Politik, Geschichte und Philosophie anbot. Ihr letztes großes intellektuelles Projekt war das unvollendete Werk „The Life of the Mind“, eine tiefgehende Reflexion über die Tätigkeiten des Denkens, Wollens und Urteilens.
Sie starb am 4. Dezember 1975 im Alter von 69 Jahren an einem Herzinfarkt in ihrer Wohnung in New York. Ihr Tod war für viele plötzlich und unerwartet, obwohl ihre Herzprobleme bekannt waren.
Ein solches Leben konnte nicht ohne große Umwälzungen bleiben. Und die Frage nach der Zeit – ein Thema, das mit der Geschichte selbst gleichzusetzen ist – konnte nicht unbemerkt bleiben. Arendt fand in den Reflexionen des Augustinus alles, was sie brauchte: Spekulation, Tiefe, Perspektive. Das subjektive Element (wie wir Zeit wahrnehmen) und das objektive Element (wie die Zeit an sich ist) erhalten bei Augustinus eine besondere Kohärenz. Durch eine interessante Inszenierung – und auf paradoxe Weise – „lösen“ sich Vergangenheit und Zukunft in einer Gegenwart auf, die… ewig wird.
Die immaterielle Natur des „Jetzt“ macht es einzigartig: der Treffpunkt von Immanenz und Transzendenz. Wie ein Knotenpunkt verlaufen alle Fäden des Daseins durch die Gegenwart; nur in ihr sind sie enthalten. Und in diesem Fall: Ist es nicht eine beispiellose Präfiguration der Ewigkeit? Oder, um es dogmatischer auszudrücken: Ist das evangelische Heute nicht jene Zeit des Königreichs (kairos), mit seinen klaren festlichen Qualitäten?
Tatsächlich ist es genau das. Eine Zeit, die sich der Vergänglichkeit entzieht, die durch ihre unmittelbare Verwirklichung erfüllt wird. Die Tatsache, dass ein Mensch in seinem eigenen Moment vollständig präsent ist, dass er ihn in allen Dimensionen umfasst – das ist die große Errungenschaft. So ist jeder voll gelebte Tag eine Teilnahme an der Ewigkeit, ein Vorgeschmack auf das eschatologische Festmahl. Die Zeit ist erlöst, und ihre Unumkehrbarkeit frustriert nicht mehr.
Und was macht es schon, wenn die Zeit vergeht, solange ihr Fluss nicht mehr unumkehrbar, sondern stattdessen erlösend ist?
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